Zusammenfassung
Diese empirische Studie widmet sich der Frage, wie digitalisierte Kommunikation gemeinschaftsbildende Prozesse beeinflusst und die politische Kultur verändert. Von 2013 bis 2015 wurden hierfür in der südostspanischen Stadt Murcia protestierende Menschen aus dem Umfeld der Bewegung 15-M bei deren Bestreben beforscht, ihr demokratisches Zusammenleben unter Rückgriff auf digitale Technologien neu zu gestalten. Den historischen Kontext der Studie bilden die politischen Nachwirkungen der internationalen Finanzkrise von 2008 sowie eine parallel hierzu einsetzende, umfassende Digitalisierung des Alltags in Spanien. Aufbauend auf einer kulturwissenschaftlichen Konzeptionalisierung sozialer Mediennutzung wird gezeigt, durch welche kulturellen Prozesse sich die Logik des Digitalen im untersuchten Forschungsfeld entfaltet und wie sich spezifische Algorithmen, Bilder, Emotionalisierungen und Interfaces auf das menschliche Miteinander auswirken. Die „Big Data Science“ kritisierend werden dabei auch wesentliche forschungsethische und datenpraktische Probleme reflektiert, vor welche die Echtzeitregime und Partizipationsimperative sozialer Medien die Wissenschaften stellen. Im Zentrum der Ethnographie steht aber der politische Kampf einer transversalen Allianz von Aktivisten und Aktivistinnen. Im Detail wird nachgezeichnet, wie zahlreiche Individuen, Gruppierungen und Parteien in Spanien soziale Missstände populistisch thematisierten und gemeinsam Widerstände im Netz und auf der Straße organisierten, um sich gegen die Auswirkungen eines digitalisierten Finanzmarktkapitalismus zur Wehr zu setzen, der ihren lokalen Wohnraum zuvor in global handelbare Spekulationsobjekte transformiert hatte. Hier arbeitet die empirische Analyse einen wirkmächtigen Widerspruch heraus: Das inkludierende Gemeinschaftsideal, das die beforschten Akteure umzusetzen suchten, und die individualisierende Funktionslogik der Kommunikationstechnologie Facebook, die sie zu eben dieser Umsetzung bevorzugt nutzten, standen sich diametral entgegen. Das Egomedium Facebook erzeugte im untersuchten Sample fragmentierte, polarisierende Formen von Öffentlichkeit und muss als Amplifikator bestehender sozialer Beziehungen verstanden werden, der destruktive zwischenmenschliche Dynamiken potenzieren kann.https://doi.org/10.5282/EDOC.28236